Von Christof Arn, Andrea Frick, Christian Stalder
Offenheit ist keine Kompetenz. Offenheit ist eine Eigenschaft. Ein Mensch ist offen (oder auch nicht bzw. mehr oder weniger). Diese Offenheit wirkt sich auf Vieles aus – auch auf Kompetenzen, und doch ist sie selbst keine Kompetenz. Sie lässt sich allerdings fördern. Was bedeutet es, wenn Bildung sich für die Idee öffnet, dass nicht jeder sinnvolle Bildungsinhalt automatisch eine Kompetenz sein muss? Dass es um mehr als um Komptenzen geht?
Was dieses Mehr ist bzw. sein könnte, haben wir im Artikel «Entwicklungsorientierte Bildung als Katalysator für Persönlichkeitsentwicklung – und umgekehrt» neu beschrieben, indem wir die Persönlichkeits- und die Entwicklungspsychlogie heranziehen. Denn Offenheit eines Menschen zu fördern bedeutet, die Entwicklung seiner Persönlichkeit zu fördern. Interessiert man sich dafür, wie man das machen könnte, so können diese beiden Bereiche der Psychologie wichtige Hinweise geben.
Das Beispiel «Offenheit» hilft, einen Blick zu gewinnen, der zulässt, dass es in der Bildung zwar auch um Kompetenzen geht, aber doch einige wichtige Bildungsinhalte über Kompetenzen hinausgehen. Hat man diese Perspektive einmal gewonnen, so wird man offener dafür, dass es vielleicht noch eine ganze Anzahl weiterer Bildungsinhalte geben könnte, die selbst keine Komptenzen sind – wichtige vielleicht gar. Ausserdem kann man nun auch überlegen, ob vielleicht einige Bildungsinhalte, die bisher als Kompetenzen bezeichnet wurden, besser gesehen werden und auch besser gefördert werden können, wenn man sie unter dem Aspekt von Persönlichkeitsentwicklung betrachtet. Tugenden z.B., wie Mut, von dem man weiss, dass er für kritisches Denken wichtig ist. Vielleicht ist auch kritisches Denken selbst keine separat lernbare Komptenz, sondern entfaltet sich im Rahmen umfassender Persönlichkeitsentwicklungsprozesse – die sich eben in der Bildung ebenfalls fördern lassen.
Genau genommen ist dieser Gedanke nicht neu. Vielmehr wurde ja Bildung die längste Zeit ohne den Komptenzbegriff gedacht und gelebt. Er verbreitete sich, nach Vorläufern in den 70er Jahren mit Kraft ab den 90er Jahren – dreissig Jahre später ist ein guter Moment, Zwischenbilanz zu ziehen und die Dinge wieder weiter zu denken.
Die Hinweise verdichten sich: vieles von dem, was in jüngeren Ansätzen an Bildungsinhalten eingebracht wird – in 4K (Kollaboration, Kommunikation, Kreativität, kritisches Denken), in 21th Century Skills, in Futuer Skills, sind selbst keine Komptenzen. Dies stellen etwa Wisniewski & Daumiller und immer mehr auch andere Forscher:innen gut begründet dar. Kirschner und Stoyanov und wohl auch einige weitere zweifeln sogar daran, dass man diese Inhalte vermitteln kann. Diesem stimmen wir zu, solange man in der Kategorie von Inhalts-«Vermittlung», von «Unterricht» denkt. Wie kann Bildung allerdings konkret aussehen, wenn man sie als Beförderung von Persönlichkeitsentwicklung gestalten will? Das haben wir in einem zweiten Artikel unter dem Titel «Ein entwicklungsorientierter Studiengang als Blaupause für zukunftsfähige Bildung» an einem konkreten Beispiel beschrieben, das sich auf verschiedene Felder übertragen lässt.
Abschied zu nehmen von einer Idee, einem Bildungsverständnis, einem Paradigma, die lange begleitet und viel geholfen haben – auch wenn es sich wohl eher um einen teilweisen Abschied handelt – ist eine grössere Sache. Diesen bewältigen zu können hat selbst viel mit Offenheit und kritischem Denken zu tun. Können wir kritisch denken nicht nur gegenüber dritten, sondern auch gegenüber Konzepten, die in der für uns relevanten Umgebung Gültigkeit haben – ja, können wir kritisch denken gegenüber Konzepten, von denen wir selbst überzeugt waren, also kritisch Denken auch im Verhältnis zu uns selbst? In diesen beiden Artikeln, die zusammengehören und nun etwa zeitgleich greifbar geworden sind, machen wir auch Vorschläge, wie dieser wichtige Übergang verträglich gestaltet werden kann. Wir freuen uns auf gute Aufnahme, Rückmeldungen und Diskussion!
PS: Bildalternative:






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