Inspirierende Fundstücke in der Musikdidaktik für gelingendes Mathelernen.

Ein Beitrag von Marion Monhaupt

Mathematische Bildung ist fundamental für unserer modernes Leben und damit steht unser Bildungssystem in entsprechender Verantwortung gegenüber jedem einzelnen Kind. Der Beitrag setzt einleitend den Kontext mathematischer Bildung in Deutschland.

Kern des Beitrags ist ein Blick über den mathedidaktischen Tellerrand hinausauf der Suche nach Inspirationen für eine wirksame mathematische Bildung. Die Musikdidaktik hat einen eigenen Blick auf Lernen sowie Lernende und bietet typischerweise anregende Lernumgebungen. Musikalische Lehransätze werden hier vorgestellt als Anregungen für die mathematische Lehre aber auch als ein Plädoyer für einen didaktischen Austausch und ein agiles Zusammenspiel der Fachkulturen an Schulen im Sinne erfolgreichen (Mathe-)Lernens.

Der Beitrag bezieht sich auf die mathematische Grundbildung. Die vorgestellten Lehransätze  bereiten den Nährboden für gelingendes Lernen, und zwar umso besser, je routinierter sie von allen Lernbeteiligten verinnerlicht und gelebt werden. Die Sekundarschulen dürfen sich über derart vorbereitete Schüler freuen und sind sodann ebenso gefragt. Sie sollten entsprechende Lehransätze fortsetzen und damit auch die Sekundarbildung stärken und sicherstellen. So gesehen ist der Beitrag wichtig für jegliche Schulstufe.

Kontext

Die von der deutschen Kultusministerkonferenz (D) herausgegebenen Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Primarbereich definieren u.a. folgende Ziele für die mathematische Grundbildung:[i]

  • Entwicklung grundlegender mathematischer Kompetenzen und eines gesicherten Verständnisses mathematischer Inhalte (u.a. durch Einbezug und Erweiterung früher mathematischer Alltagserfahrungen der Kinder)
  • Aufbau positiver Einstellungen und Grundhaltungen zum Fach inkl. Freude an der Mathematik und Entdeckerhaltung (u.a. indem Kinder Gelegenheit erhalten, selbst Probleme zu lösen und mathematisch zu kommunizieren)
  • Schaffung der Grundlage für das weiterführende mathematische Lernen und für die lebenslange Auseinandersetzung mit mathematischen Anforderungen in Alltag und Beruf

Die OECD beschreibt mathematische Kompetenz für ihre PISA-Studie so:[ii]

  • Alltägliche sowie besondere Problemstellungen mathematisch formulieren, bearbeiten und interpretieren sowie mathematisch argumentieren
  • Mathematisches Schlussfolgern und die Anwendung mathematischer Konzepte, Prozeduren, Fakten und Werkzeuge, um Phänomene zu beschreiben, zu erklären und vorherzusagen.
  • Rolle der Mathematik in der Welt erkennen und verstehen
  • Fundierte Urteile und Entscheidungen treffen, die den Anforderungen des Lebens als konstruktive, engagierte und reflektierte Bürger entsprechen

Der Versuch einer treffenden Zusammenfassung: Die mathematische Grundbildung soll Kinder befähigen und motivieren, in einer mathematischen Art und Weise über ihre Welt nachzudenken, Probleme zu lösen und zu kommunizieren. Dazu benötigen sie entsprechende mathematische Erfahrungen, Wortschatz und Verstehensgrundlagen. Sie sollen kompetente Bürger werden auch dank mathematischen Denkvermögens.

Problem

Schulen und Mathelehrkräfte haben dies grundsätzlich im Auge. Leider sind die Lernergebnisse im Fach Mathematik eher ernüchternd:

  • Die Pisa-Ergebnisse 2018 zeigten: Mehr als ein Fünftel der 15-jährigen in Deutschland verfügt lediglich über rudimentäre mathematische Kenntnisse, was mit Problemen an der gesellschaftlichen Teilhabe einhergehen kann. Insbesondere an nicht gymnasialen Schularten ist der Anteil dieser 15-jährigen mit 30% besonders groß und ist seit dem Jahr 2012 signifikant größer geworden. [iii]
  • Mathe-Ergebnisse der deutschen Schüler bei den PISA-Studien der Jahre von 2000 bis 2018[iv]
  • Die TIMSS-Studie in 2019 in Grundschulen zeigte: [v]
    • jeder vierte Schüler zeigt am Ende der Grundschulzeit unterdurchschnittliche mathematische Kompetenzen. Sie laufen Gefahr in weiterführenden Schulen den Anschluss im Fach zu verlieren
    • ein Vergleich der Daten von 2007, 2011 und 2019 zeigt, dass der Anteil der Schüler mit unterdurchschnittlichen Kompetenzen zunahm
    • im Vergleich zum Mittelwert der teilnehmenden EU-Staaten fallen die Leistungen der Schüler aus Deutschland signifikant niedriger aus
    • in Deutschland liegen die Fortbildungsaktivitäten der Lehrkräfte in Mathematik unter dem internationalen Wert[vi]

Woran liegt es, dass der Erfolg mathematischer Bildungsbemühungen seit Jahren derart hinter den Möglichkeiten zurückbleibt? In Anbetracht der institutionellen und personellen Vielfalt im Schulsystem gibt es hier sicherlich keine simple Antwort. So sind lokale, regionale sowie systemweite Möglichkeiten zur Stärkung der mathematischen Bildung nutzbar zu machen.

Als mögliche lokale sowie breite Ursache dieser anhaltenden Bildungsschwäche in Mathematik kommen auch wirkende Mechanismen der vorherrschenden Fachkultur infrage: Überzeugungen davon, was Mathelernen ausmacht bzw. wie Mathe zu lernen ist sowie entsprechende didaktische Ansätze bzw. methodische Ressourcen. Es ist nämlich durchaus interessant, wie ähnlich grundlegende Überzeugungen und gleichfalls sichtbare Bildungsschwächen im Hinblick auf Mathematikunterricht deutschlandweit sind.

Ein Überblick über Schwierigkeiten und Lücken beim Mathelernen, die regelmäßig in Studien der Lernforschung aufgegriffen werden und die wir während der Arbeit mit Kindern regelmäßig sehen:

Mathematische Lernforscher – klassisch wie modern – sowie Bildungsstudien weisen auf die wesentlichen Aspekte wirksamer Mathelehre hin: transparente Lernziele, problemorientierte Aufgaben, diagnosegeleitete Förderung, reflektierende Interaktion, verstehensorientiertes Üben. Kommt dieses Lehr-Lern-Wissen an in den Schulen? Wie wird es umgesetzt? Gibt es eine Kluft zwischen Theorie und Praxis? Auch wird zunehmend erkannt, dass es im Fach Mathematik besondere Lehr-Lern-Hindernisse gibt. Dazu zählen neben einem hinderlichen bis verstörenden Mathe-Image und Talent-Glaube in den Köpfen vieler Lernbeteiligter (Schüler, Eltern, Lehrer) auch bedrückende bis verängstigende Lernatmosphären durch Rechendrill und Fehlerstress. Es lohnt sich mehr denn je hier hinzuschauen und auch über den Tellerrand zu schauen, um rasch gegenzusteuern und Segel zu setzen. Viel mehr Kinder können gut Mathe lernen.

Es gibt diverse fachkundige Quellen mit fundierten und sehr gut aufbereiteten Informationen und Materialien für einen zeitgemäßen und nachgewiesenermaßen wirksamen Matheunterricht. Das wohletablierte Programm Mathe2000[vii] bietet seit mehr als 20 Jahren ein verstehensorientiertes Mathelernprogramm für Schulen an. Das DZLM (Deutsche Zentrum für Lehrkräftebildung Mathematik) bietet mit verschiedenen Programmen[viii] umfangreiche didaktische Hilfen und Lehrmaterialien für einen Matheunterricht, der die Verstehensgrundlagen sicherstellt.

Eine inspirierende Quelle ist aber auch die Didaktik und gelebte Praxis in anderen Fächern. Im weiteren Text schauen wir über die Disziplingrenzen hinaus und nutzen Einblicke in Musikdidaktik und praktischen Musikunterricht. Anlass waren faszinierende Begriffe, die ich als Lerntherapeutin für Mathematik von einer Musikpädagogin hörte.

Lesen Sie mehr dazu in Teil 2! Demnächst auf dem HfaB.Blog.


Quellen

[i] Beschlüsse der Kultusministerkonferenz: Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Primarbereich, Beschluss vom 15.10.2004, https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_10_15-Bildungsstandards-Mathe-Primar.pdf, 28.2.22

[ii] OECD: PISA2022 Rahmenkonzeption für Mathematik, https://pisa2022-maths.oecd.org/de/index.html, 28.2.22

[iii] Kristina Reiss, Mirjam Weis, Eckhard Klieme, Olaf Köller (Hrsg.): Grundbildung im internationalen Vergleich, https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2019/Zusammenfassung_PISA2018.pdf, 24.2.22

[iv] Ergebnis der deutschen Schüler/-innen bei den PISA-Studien der Jahre von 2000 bis 2018 im Bereich Mathematik, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/248921/umfrage/pisa-studie-punktzahl-von-deutschland-im-bereich-mathematik, 24.2.22

[v] Knut Schwippert, Daniel Kasper, Olaf Köller, Nele McElvany, Christoph Selter, Mirjam Steffensky, Heike Wendt (Hrsg.): TIMSS 2019 – Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich, https://www.waxmann.com/index.php?eID=download&buchnr=4319TIMSS, 25.2.22

[vi] Florentine Anders: TIMSS 2019 – Wie schneiden Viertklässler in Mathe und Naturwissenschaften ab?, https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/timss-2019-wie-schneiden-viertklaessler-in-mathe-und-naturwissenschaften-ab, 24.2.22

[vii] Mathe2000: Wissenschaft für die Praxis, https://www.mathe2000.de/leitprinzipien, 24.2.22

[viii] DZLM Deutsches Zentrum für Lehrkräftebildung Mathematik: Unterrichtsmaterialien und -anregungen, https://dzlm.de/node/2291, 24.2.22