Das letzte Charakteristikum beschliesst unsere Ausführungen und anerkennt, dass Lernen nicht einfach eine Anhäufung von Wissen und Kompetenzen bedeutet. Entwicklungsorientierte Bildung ist,
… wenn auch entlernen lernen ist.
Alte Verhaltensmuster oder antrainierte Fähigkeiten beispielsweise, die in einem bisherigen Kontext Sinn machten, müssen in anderen Kontexten, die wir mit neuen Entwicklungsschritten betreten haben, entlernt werden, um neuen Verhaltensmöglichkeiten und Gedanken Platz zu machen, die hinsichtlich der neuen Erfordernisse passen könnten.
- Entwicklung hat immer einmal wieder eine andere Qualität als ein Hinzufügen von weiterem Wissen oder weiteren Kompetenzen unter Beibehalten des bisherigen Wissens und der bisherigen Kompetenzen.
- Entwicklung ist immer einmal wieder auch tiefgehende Infragestellung der bisherigen Überzeugungen (gelegentlich auch dessen, was wir bisher als unser «Wissen» bezeichnet hätten), der bisherigen Art und Weise, wie wir Situationen wahrnehmen, sogar wie wir empfinden.
- Entwicklung bedeutet oft, dass wir merken, bisher Wichtiges übersehen zu haben – aber eben auch immer wieder, dass wir zur Überzeugung kommen, dass Dinge nicht so sind, wie wir sie bisher gesehen haben; dass wir Dinge für so gehalten haben, wie wir jetzt sehen, dass sie nicht sind.
- Entwicklung sucht Gleichgewicht (vgl. Piaget, 1976). Lernen heisst auch umlernen, anderslernen – und eben entlernen, weil auch das zu Entwicklung gehört, die sich uns überaus vielgestaltig zeigen kann.
Entlernen im Blick zu haben ist eine besonders ausgeprägte Form von Offenheit. Entwicklungsorientierung ist aktive Offenheit. Allerdings «orientierte» Offenheit, weit entfernt von Beliebigkeit. Diese orientierte Offenheit ist hochaktuell. Denn, wie eingangs festgestellt: Wir leben in einer wandlungsintensiven Zeit.
Das Paradigma der Entwicklungsorientierung ermöglicht, dem sich permanent verändernden Menschen und seinen Lebensspuren in einer Welt zwischen Wandel und Metamorphose (um für einmal die modisch gewordenen Begriffe wie «Disruption» und «Transformation» zu vermeiden) zu begegnen. Eine so ausgeprägte Offenheit hilft, Bildung sinnvoll-nachhaltig zu gestalten als ein Gemeinsames, in dem die/der Einzelne Bedeutung hat, auch und gerade in Zeiten starker Veränderungen. Konkret: Immer wieder den nächsten, guten Entwicklungsschritt sehen und gehen.
PS: Die Grundlagen zu diesem Blogbeitrag stehen im Buch «Entwicklungsorientierte Bildung – ein Paradigmenwechsel». Der brandneue Text Was Entwicklungsorientierte Bildung ist erläutert 13 Charakteristika dieses Paradigmas.
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