Den Lehrermangel einfach beheben? Die Bildungspioniere der Hochschule für agile Bildung (HfaB) haben damit begonnen. Mit einer verblüffend einfachen und nachhaltigen Idee stellt die HfaB die Lehrerbildung auf den Kopf – und löst mit einem Schlag und nachhaltig den Mangel an Lehrpersonen.
Eine gründlich weiterentwickelte Lehrerausbildung kann bestehende Studiengänge ergänzen, neue Zielgruppen ansprechen und bewirken, dass mehr Lehrpersonen im Beruf bleiben. Und kann Schule inhaltlich einen grossen Schritt weiterbringen.
Die HfaB hat den Prototyp dazu entwickelt. Um diesen in die Serienproduktion zu bringen, braucht es nun einen Kanton und/oder eine Pädagogische Hochschule. An der Veranstaltung vom 22. September 2023 präsentiert die Hochschule für agile Bildung den neuen Studiengang. Und dazu gleich ein neues Bildungsdenken, das in zwei veröffentlichten Büchern erforscht und beschrieben wird.
Lehrermangel beheben
Der Mangel an Lehrpersonen ist in aller Munde. Echte Bildungsinnovationen wünschen sich viele. Das Team an der HfaB macht Bildung von morgen und tüftelt seit 2019 an ein einer neuartigen Ausbildung von Lehrpersonen, die Bildung von morgen heute schon umsetzt. Das neuartige Studiengangsmodell bezeichnen sie als «Prototyp». Die vielleicht kleinste Hochschule der Welt ist der ideale Ort, um Prototypen zu entwickeln. Für die Serienproduktion braucht es nun grössere Institutionen. Die HfaB steht im Kontakt mit verschiedenen Hochschulen, auch mit Berufsschulen, und stellt das Modell und die dahinterstehende Art, Bildung zu denken, laufend vor. Die Anfrage, ob sie Lizenzen am Prototyp verkaufen würden, nehmen sie ernst. Christof Arn, Gründer der HfaB, meint: «Wir sehen verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Hochschulen, sind offen für Kontakte und freuen uns darauf, dabei mitzuhelfen, die Sache in die Breite zu bringen». Wenn es die Sache tatsächlich in die Breite schafft, bedeutet das einen echten Wandel in Sachen Lehrerinnenausbilung. Ein echter Lösungsbeitrag, der sich positiv auf die Schule und Kinder und Jugendlichen auswirken kann. Und das Beste daran: Der Prototyp ist auch auf andere Studienrichtungen übertragbar: Industriedesign, Soziale Arbeit, Architektur, Ingenieurausbildungen etc. – wäre alles denkbar.
Von der Praxis her studieren
An der HfaB wird von der Praxis her studiert, die Hochschule folgt dabei 6 Prinzipien. Evelyne Roth, Studentin im Ausbildungs-Studiengang zur Lehrperson, sagt: «Die Fallbeispiele, das ist unsere tägliche Arbeit. Wir bringen diese mit an die HfaB und die Ergebnisse wieder zurück in die Schule.» Das wirkt sich umgehend auf Praxis aus. Dahinter steckt ein erstes Grundprinzip der Ausbildung: Vom ersten bis zum letzten Tag des Studiums stehen die Studierenden mit mindestens einem 40%-Pensum in der Praxis. Am Anfang beobachtend, mitlaufend, mit kleinen Aufgaben. Bald schon mit mehr Verantwortung und eigenständigen Tätigkeiten, ab dem dritten Jahr mit Klassenverantwortung.
Hinter der Aussage der Studentin steckt auch gleich das zweite Prinzip: An der Hochschule werden die Erfahrungen aus der Praxis besprochen. Der Schritt in die Theorie wird von der Praxis aus gemacht: «Diese Fallbeispiele, die wir eingebracht haben, konnte man in der Theorie vertiefen. Dann ist man nicht verloren in zu viel Theorie, sondern kriegt die Theorie, die man brauchen wird. Damit lernt man dann auch wirklich.» So beschreibt das die Studentin Macarena Helguera. An der HfaB lernt man also, selbst zu lernen. Leistungsnachweise werden so zum «Spielplatz», wie die Studentinnen berichten. Ausgerechnet das, was in anderen Studiengängen besonders stresst – die Prüfungen, Leistungsnachweise, Testate – können in diesem Studiengang die Studierenden selbst gestalten. Das ist das dritte Grundprinzip. Tatsächlich ist es Aufgabe der Studierenden in jedem Modul des Studiums selbst zu definieren, wie sie zeigen möchten, dass sie die Modulziele erreicht haben.
Nicht nur die Prüfungen sind von den Studierenden gestaltet, sondern auch das Lernen selbst – Grundprinzip vier. Vorgegeben sind nur die Ziele, diese werden allerdings sehr sorgfältig geklärt. Sie können in einzelnen Punkten auch nochmals verhandelt werden, sind dann aber strikt gültig. Vorgegebenen als Präsenzunterricht sind die drei Campustage pro Monat, darüber hinaus gibt es keine Präsenzpflicht, also auch keine Stundenpläne. Hingegen stehen die Modulleitenden den Studierenden zur Verfügung um sie – auf Wunsch – bei ihrer Planung und Durchführung der eigenen Lernprozesse zu unterstützen.
Coaching, Coaching, Coaching
Der erste Schritt einer guten Lehrperson ist nicht das Unterrichten, sondern das Wahrnehmen: «Beobachten ohne zu werten, das ist total komplex und schwierig!», so bringt es Evelyne Roth auf den Punkt. Und: «Die Selbstreflexion – das war der grösste Teil, der mich hat wachsen lassen.» Beobachten, Coaching und Selbstreflexion sind also wesentliche Aktivitäten im Studium. Um das als Lehrperson zu lernen, ist auch der eine oder andere intensivere Schritt als Person gefragt. Stichwort: Persönlichkeitsentwicklung. Für all das – und weil es doch zwei grosse Herausforderungen sind, von Anfang an in der Praxis zu stehen und das Lernen im Studium so sehr selbst zu steuern – erhalten die Studierenden je einen «Personal Coach» zur Seite gestellt. Hier sind an der HfaB ausgewiesene Berater:innen im Einsatz, die sorgfältig ausgewählt werden und die auf eine solide Ausbildung und langjährige Beratungserfahrung zurückgreifen können. Für den Studiengang ist dies zentral – Grundprinzip fünf.
Alle lernen
Damit ist angesprochen, dass die Anforderungen an das Personal in einem solchen Studium hoch sind. Hier reicht es nicht, wenn diese Fachleute die Inhalte zutreffend vermitteln können. Sie brauchen die Fähigkeit, auf die Praxiserfahrungen der Studierenden einzugehen, ja sogar von diesen auszugehen. Auch die Aufgabe, mit den Studierenden zusammen gegen Modulende den genannten «Spielplatz» zu betreten und gemeinsam auszuhandeln, wie die Studierenden plausibel zeigen können, dass sie die Modulziele erreicht haben, ist eine bisher unbekannte Aufgabe. So lernen an der Hochschule für agile Bildung auch Modulleitende und die Studiengangsleitung. In der Hochschulleitung ist das sogar Prinzip, das sechste also: «Wir alle verstehen uns als Lernende, nicht nur ein bisschen am Rande, sondern im Kern. Wir geben einander Hinweise, wir lernen von unseren Studierenden und aus eigenen Fehlern. Wir haben eine Atmosphäre, die uns auf allen Ebenen erlaubt, zu Fehlern zu stehen. Ich will nicht behaupten, dass uns das immer gelingt, aber es gibt immer wieder eindrückliche Momente diesbezüglich.» So schätzt das Christof Arn, Mitglied der Leitung der HfaB, ein.
Ein Prototyp als zukunftsfähiger Gamechanger
Nichts davon ist völlig neu, und doch entsteht im ausbalancierten Zusammenspiel der sechs Prinzipien ein insgesamt neuartiges Studiengangs-Modell. «Den konzeptuellen und forschungsbezogenen Hintergrund all dessen fassen wir unter die Bezeichnung «Entwicklungsorientierte Bildung» zusammen,» sagt Christian Stalder, der zusammen mit Walter Burk bereits zwei Buchbände unter diesem Titel bei Beltz herausgegeben hat. Beide sind Leitungsmitglieder in der HfaB und tragen intensiv dazu bei, dass der Anschluss an die wissenschaftliche Community gut funktioniert.
Mit diesen neuen Entwicklungen in der Bildung kommen wertvolle sogenannte «21st century skills» verstärkt in den Fokus; sowohl Lehrende und in der Folge auch ihre Schülerinnen und Schüler verstärken kritisches Denken, Reflexionsfähigkeit, Problemlösungskompetenz, Eigeninitiative oder Kreativität vermehrt.
Zukunftsfähig also, dieser Prototyp.
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