Der zehnte Punkt der Liste der 13 Charakteristika! Entwicklungsorientierte Bildung ist, …
… wenn es keine Musterlösungen mehr geben kann, höchstens inspirierende Vorbilder für eigene Prozesse.
Kurz erklärt:
Das meint, dass nicht nur die Wege der Entwicklungsprozesse individuell sind, sondern auch die Art und Weise, wie sich erreichte Entwicklungsstände äussern. «Gleiche» Entwicklungen erreicht zu haben, äussert sich «verschieden».
Beispiele:
- Das kritische Denken des einen Menschen ist eben nicht dasselbe, wie dasjenige des anderen Menschen
- Genauso können sich Bescheidenheit oder Kreativität unterschiedlich zeigen.
Und wenn das Werk des Meisters oder der Meisterin nicht mehr das alleinig zu erreichende Vorbild darstellt, sondern eigene Entwicklungen in den Blick von Bildungsprozessen gelangen, sind Musterlösungen nicht mehr unbedingt lern- und entwicklungsförderlich. Sie können Lernen sogar hindern. Eher prägen Vorbilder, Ideen, inspirierende Beispiele.
Für die Bildungsarbeit bedeutet das, dass wir Lernenden in einer anderen Art Orientierung geben. Denn Musterlösungen und Konsorten waren doch immerhin Orientierung. Für Entwicklungsorientierte Bildung (eigentlich schon weitgehend für kompetenzorientierte Bildung) sind sie nicht hilfreich, sogar hinderlich. Denn sie verführen zu oberflächlicher Imitation, zu formeller Erfüllung von Anforderungen. Es macht eben einen Unterschied, ob man eine gegebene Gliederung für eine eigene schriftliche Arbeit übernimmt (z.B. aus einer Musterlösung), oder ob man aus einer eigenständigen Durchdringung des Themas eine Gliederung entwickelt, die vielleicht sehr ähnlich aussieht. Deutlich ist also, dass Musterlösungen und ähnliche Arten, Lernenden Orientierung zu geben, wegfallen. Damit entsteht aber eine Lücke, ein Orientierungsmangelgefühl. In manchen Situationen ist es produktiv, dies auszuhalten und zu begleiten, weil so der Lern- und Entwicklungsprozess besonders intensiv und gründlich abläuft. Dann aber läuft er auch besonders unvorhersehbar ab. Dies wiederum bringt hohe Anforderungen an die Begleitung. In anderen Situationen wird man andere Arten finden, Orientierung zu geben.
Besonders bewährt hat sich, kleinschrittig und iterativ vorzugehen: «Ok, ihr seid jetzt überfordert und habt im Grunde zu wenig Orientierung, um weiterzuarbeiten. Versucht, dieses Vakuum für den Moment zu akzeptieren und arbeitet in Zweiergruppen einfach eine Viertelstunde trotzdem weiter. Wir tauschen dann über die Zwischenstände aus und sehen gemeinsam weiter.» Hier geben wir Orientierung, indem wir statt Inhaltsstruktur bloss Zeitstruktur bieten. Erfahrungsgemäss funktioniert das erstaunlich gut und es wird spannend werden herauszufinden, welche anderen Arten, Orientierung zu geben, es noch gibt.
PS: Die Grundlagen zu diesem Blogbeitrag stehen im Buch «Entwicklungsorientierte Bildung – ein Paradigmenwechsel». Der brandneue Text Was Entwicklungsorientierte Bildung ist erläutert 13 Charakteristika dieses Paradigmas.
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