Walter Burk hält im letzten Blog des Jahres 2022 inne. Und denkt, wie so oft in diesem Jahr, über Entwicklungen nach.

Zeit. Weiter. Tempo.

Es gibt Zeiten, da scheinen Veränderungen stärker spürbar zu sein als sonst, werden von uns bewusster wahrgenommen. Oder zumindest der Wunsch nach Veränderung – und damit Entwicklung – ist in diesen stärker als in anderen Zeiten unseres Lebens. Ein solcher Moment ist oft auch der Jahreswechsel. Wenn schon die Zeit Neues, ein neues Jahr, bringt, so erhoffen wir von diesem Neuen auch eine Weiterentwicklung. Gutes soll verstärkt werden, Schlechtes sich wandeln, positives Neues dazukommen.

Doch auch das Tempo der aktuellen Entwicklung bestimmt deren Wahrnehmung. Eine Entwicklung, die schnell vorangegangen ist, nehmen wir im Nachhinein stärker wahr als eine langsame. Doch die langsame oder stockende, in der wir uns befinden, wirkt stärker auf uns, als eine, die kontinuierlich und zügig vorwärts geht. Nichts lässt Entwicklung spürbarer werden als Stillstand. Oder wie es ein chinesisches Sprichwort formuliert: «Fürchte dich nicht vor dem langsamen Vorwärtsgehen, fürchte dich nur vor dem Stehenbleiben.»

Leben. Veränderung. Prozess.

Veränderung oder Entwicklung heisst, dass etwas nicht mehr so ist wie es war und beruht auf dem Vergleich das Jetzt mit dem, das war oder wie etwas war. Dafür braucht es nach Roger Willemsen nicht den Verlust, sondern das Verlieren. Denn wir leben nicht im Ereignis, sondern im Prozess. Trotz unseres Verlangens, auf der Höhe des eigenen Handelns zu sein, können wir nicht gleichzeitig mit dem sein, was passiert.

Entwicklung und Veränderung findet für uns erst statt, wenn wir vergleichen. Nicht nur mit dem, was war, sondern auch mit dem, was wir wollen oder mit dem, was sein könnte. Im Blick zurück kann ich mir die Frage stellen, wie sie Roger Willemsen in «Der Knacks» formuliert: «Warum wurde man nicht, was man hätte sein können? Wann nahm das Sein-Lassen seine doppelte Bedeutung an als Tolerieren und Aufgeben?» Oder die Frage nach dem, was in der Vergangenheit gefehlt hat und das man in Zukunft gerne (wieder) haben würde – wobei auch das fehlen darf, das man nie besass. Wir berufen uns dabei auf Erlebnisse, die nur solche sind, weil wir es waren, die sie erlebt haben. Oder wir vergleichen mit anderen Erfahrungen und vergessen dabei, dass «Erfahrung immer eine Parodie auf die Idee ist», wie Johann Wolfgang Goethe es ausdrückt.

Im Blick nach vorne geben wir uns unseren Wünschen, Hoffnungen und Illusionen hin, können dabei aber im Gegensatz zum Blick zurück nicht auf eine kollektive Perspektive stützen, denn «wir besitzen wohl eine kollektive Vergangenheit, nicht aber eine kollektive Zukunft», wie der südafrikanische Schriftsteller Jahn Maxwell Coetzee sagt. Die vor uns liegende Veränderung und Entwicklung bleibt eine individuelle und muss von uns auch so gestaltet – oder zumindest zugelassen – werden. Dies bedingt jedoch zumindest ein Ziel, eine Vision oder einen Traum, denn, so Jean-Luc Godard: «Die meisten Menschen haben den Mut, ihr Leben zu leben, aber nicht den Mut, sich ihr Leben vorzustellen.

Veränderung bedingt jedoch auch Sinn – Entwicklung soll sinn-voll sein. Sinnerzeugung findet dabei immer im Rückblick statt, ein unablässiges Zusammenfügen von Sinn aus Glauben, unausgesprochenen Annahmen und Erzählungen, unausgesprochenen Regeln für die Entscheidungsfindung und den daraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten. «Es geht weniger um das Festhalten an Dingen, die positiv oder auch negativ sind, sondern eher darum, den Weg der Vergangenheit aus der Perspektive der Zukunft anzuschauen», glaubt Otto C. Scharmer. Der persönliche Sinn ist individuell und unverwechselbar, nicht austausch- oder vermittelbar. Der persönliche Sinn bestimmt die individuelle Haltung, steuert das individuelle Verhalten und ist das Medium, das diese Steuerung bestimmt – dadurch kann Lernen zu einem Lernen des «Lernen Lernens» entwickelt werden.

Das Team der HfaB wünscht Ihnen, liebe Leser:innen, alles Gute für das neue Jahr!

PS: Dieser Beitrag basiert auf einem «Zeitgedanken» des Autors vom September 2011, der damals auf sensevision publiziert wurde Lesen Sie hier den Volltext:

Zeitgedanken pdf