Es war im September 2022, als im etwas eintönigen Studierzimmer der PHZH plötzlich ein Konzept an der Wand flimmerte: Was des Professors didaktische Hausapotheke da zum Umgang mit Heterogenität an Berufsfachschulen aufzeigte, hat meine Aufmerksamkeit sofort auf sich gezogen.
Eine bequeme Rampe in entwicklungsorientierte Bildungspraxis
Weit weg von Planlisten Unterricht als differenzierende Lernlandschaften verstehen – so habe ich das Zweistrankonzept von Berger & Pfiffner (2018, S. 39ff.) sofort begriffen. Die Auseinandersetzung während des geforderten Lernnachweises hat meinen Eindruck dann gar noch bestärkt und mein Tun in eine andere Richtung katalysiert: Das Zweistrangkonzept einer differenzierten Lernumgebung bietet einen idealen Einstieg für Lehrpersonen, (Berufsschul-)Unterricht entwicklungsorientiert zu gestalten. Dabei unterstützt die Strukturierung, selber einen einfachen pädagogischen Rahmen zu finden, in dem viel Gestaltungsfreiheit für individuelles Lernen möglich wird. Da hatte ich mich plötzlich an Arns Ausspruch erinnert:
«Revolutionär! Nicht die ausgefeilte tabellarische Unterrichtsplanung […] macht es aus. Entscheidend ist, dass diese Fachkräfte erstens dafür offen, ja daran interessiert sind, mitten im Lehren wahrzunehmen, was bei den Lernenden passiert. Diese Lehrenden sind zweitens fähig, aus dem Stand heraus auf das zu reagieren, was bei den Lernenden passiert.[…] Das ist Didaktik, die aus echter Interaktion entsteht. Logisch. Eigentlich banal. Zugleich radikal. Wenn’s klappt genial.» (Arn, 2020, S. 9)
Wenns klappt, genial!
Mit dem auf weissem Putz flimmernden Zweitrangkonzept – so meine erste Intuition – würde das, was Arn da schreibt, einfach so, gar in den heilgen Hallen der Pädagogischen Hochschule salonfähig, ja gar durch sie selbst initiiert! Vorbei das deviante Tun! Eine Lernlandschaft gestalten, die differenziert, die Individualität fordert und fördert und zugleich mit Zug auf Ziele hin arbeitet. Und: Ein Konzept, das es ermöglichen würde, ausgehend vom aktuellen state of the art eine entwicklungsorientierte Bildungspraxis fast beiläufig zu etablieren – ohne grosses «Tamtam». Eher «by the way».
Die Idee auf den Punkt gebracht: das Konzept von Berger & Pfiffner (2018) orientiert sich an zwei Strängen: Erarbeitungsstrang und Umsetzungsstrang, und ist in drei Phasen gegliedert. Ich habe das folgendermassen adaptiert:
Phase 1: Der Auftakt!
Hier wird die Lernumgebung inszeniert, die Lernarchitektur vorgestellt und hier nehmen die Lernenden ihre Selbstdiagnose vor: Was wissen Sie schon zum Thema? Welche Bezüge zu anderen Wissensgebieten, anderem Unterricht und vor allem der Praxis können sie herstellen? Was wirft Fragen auf oder ist komplett unbekannt? Ausgehend von einem Fragenkatalog erstellen die Lernenden eine schriftliche Stellungnahme zum lernzielspezifischen Lernstand und besprechen mit mir die folgende Lernarbeit. Wie komme ich schrittweise weiter in Richtung Ziel und/oder darüberhinaus?
Phase 2: An die Arbeit!
Wissen wird in Einzelarbeit oder im Tandem erarbeitet, im verlässlichen Wissensspeicher liegt das passende Material für die Erreichung der Ziele (< K3) bereit, Recherche in der Bibliothek eröffnet Perspektiven und die Lernberatung hilft auf die Sprünge. Die Lernziele strukturieren. Schnelle Lernende wechseln schnell in den Umsetzungsstrang, langsamere Lernende nehmen sich Zeit und erhalten sie auch.
Im Umsetzungsstrang wird das neu erworbene Wissen mit der Praxis verknüpft (K3-K5): Hier wird individuell gestaltet, wird Basiswissen in Form gebracht und werden reale Lernprodukte erschaffen, welche bezüglich der Güte durchaus variieren können – weil das in der eigenen Praxis ja nicht anders ist!
Aus den Aufträgen im Umsetzungsstrang resultiert bei allen Lernenden letztlich ein Anwendungsbeispiel: manche enorm ausgeklügelt und die Ziele übertreffend, manche einfach und als solide Büez.
Phase 3: Ernten!
Mittels eines einfachen Tests wird das erforderliche Wissen geprüft. Das Anwendungsbeispiel wird anhand von Gütekriterien beurteilt – diese Gütekriterien können von Lernenden (mit)definiert werden – ausgehend vom erworbenen Fachwissen.
Was hat das mit Entwicklungsorientierter Bildung zu tun?
Die ständig präsente Lernberatung, andauernde Coachingarbeit, unterschiedliche Lernstände und Lerntempi machen Heterogenität im Schulzimmer zum erwünschten Ausgangspunkt, der dynamisches Lerngeschehen ermöglicht und viel Präsenz fordert. Lernende gehen eigene Lernwege, suchen Lernpartnerschaften und finden sie manchmal, nutzen die Lernberatung, dann wenn sie nicht mehr weiter wissen, Bestätigung für den nächsten Schritt benötigen oder übers Ziel hinausschiessen möchten.
Die Lernprodukte in der Umsetzungsphase werden ständig im Peer-Feedbackschlaufen und durch mein Feedback reflektiert, um sie dann zu verbessern. Auch die Praxis tanzt mit, weil sich Lernende bei Fachpersonen im Betrieb Rückmeldungen einholen. Das Anwendungsbeispiel stellt dann das Destillat dieser Arbeit dar – je mehr qualitativ gute Reflexionsschlaufen es durchlaufen hat, desto besser – meist.
Sowas kann auf fachlich hochanspruchvoller Flughöhe umgesetzt werden, allerdings bieten auch einfachere Herangehensweisen genügend Lernchancen. Gerade weil die Lernenden das Basiswissen mit ihrer täglichen Praxis verbinden!
Die Rolle der Lehrperson: Als Lernarchitektin eine Lernlandschaft bauen, die verlässlich ist und viel zulässt. Und dann: Wahrnehmen, wo die Lernenden stehen und stante pede reagieren, um weitere Lernmöglichkeiten in Interaktion mit den Lernenden zu arrangieren! Manchmal muss man es auch aushalten, die Hände im Hosensack zu lassen und abzuwarten – denn wenn’s läuft, läufts!
Wie beurteilen die Lernenden so einen Unterricht? Die 30 Lektionen zu meinem «geplanten» Unterricht starten im November. Die Auswertung folgt im #hfab BLOG.
Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? Ihre Rückmeldung in der Kommentarspalte würde mich freuen!
Herzliche Grüsse aus der HfaB!
Literatur:
Arn, Ch. (2020). Agile Hochschuldidiaktik. Beltz.
Berger M., Pfiffner M. (2018). Umgang mit Heterogenität an Berufsfachschulen. hep.
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