Walter Burk schreibt mir gerade ne Postkarte aus der Türkei. Das steht:

An meinem Wohnsitz in der Südtürkei schwimme ich jeden Morgen einen Kilometer im Pool. Vierzig Bahnen zu 25 Meter, die Länge des Pools wird mir von meiner Sportuhr bestätigt. Dass die Zeiten wesentlich langsamer sind als zu meinen besten Zeiten als Leistungsschwimmer und Triathlet, kann ich nach einer siebzehnjährigen Schwimmpause gut akzeptieren – und freue mich über die langsame und stetige Leistungssteigerung. Und mit der Gewissheit, einen Kilometer im Wasser zurückgelegt zu haben, lässt sich gut in den Tag starten und ein ausgiebiges Frühstück geniessen.

Das Ritual hat in sich in meinem Tagesablauf gefestigt und wird nicht in Frage gestellt. Ebenso wenig die Länge des Pools – bis ich bemerke, dass die 25 Meter im Modus «Poolschwimmen» meiner Sportuhr eine Voreinstellung sind… Das irritiert mich und lässt mich zweifeln, ob ich nicht doch schneller unterwegs bin, wie mein Gefühl es mir schon länger signalisierte.

Auf Google Earth messe ich die Poollänge nach: 36 Meter! Ich bin also wochenlang täglich nicht einen, sondern beinahe eineinhalb Kilometer geschwommen, die Kilometerzeit liegt um einen Drittel tiefer! Eine schöne Überraschung – und Freude kommt darüber auf, wieder etwas gelernt zu haben!

Das erinnert mich an meine Schul- und Studienzeit, aber auch an meine Tätigkeit als Dozent. Die Gewissheit, etwas zu wissen, Stoff zu beherrschen oder eine komplexe Aufgabenstellung verstanden zu haben, beinhaltet die Gefahr von Fehlern und Irrtümern, verhindert weiteres Lernen und eine persönliche Weiterentwicklung. Ich bin auf dem festgefahren, was ich weiss und kann und prüfe keine weiteren Optionen mehr.

Wenn wir unseren Studierenden mit einer genügenden oder guten Note in einer Modulprüfung vermitteln, dass sie dessen Inhalte beherrschen, werden diese das Modul als bestanden abhaken und sich nicht weiter damit befassen. Das gleich gilt für die Kompetenzen, die durch das Modul erlangt werden sollen – für eine Weiterentwicklung derselben müsste (zusammen mit den Studierenden) das Ausprägungs- und damit das Entwicklungspotenzial beurteilt werden.

Verunsicherung und Irritation motivieren zum Lernen – nicht die Dozierenden, wie dies so oft gefordert wird. Und wenn etwas noch eine aktuelle und persönliche Bedeutung für die Lernenden hat, verstärkt dies den Willen zu lernen und sich weiterzuentwickeln.

Das erlebe ich aktuell nicht nur beim Schwimmen, sondern auch beim Erlernen der türkischen Sprache.