In der Kommentarspalte dieses Beitrags zu Neugierde habe ich ihn kennengelernt – geworden ist daraus ein Anschlussbeitrag für diesen Blog! Das passt hervorragend zum Purpose der HfaB.
Unser Gast Urs Chalupny ist stv. Direktor einer Berufsschule in Neuchâtel, Berufsschullehrer und Psychologie-Student.
Mit Neugierde ist es vielleicht wie mit Motivation.
Es wird immer wieder der Versuch unternommen, diese Verhaltensweisen auf die Person zu attribuieren und den Kontext etwas ausser Acht zu lassen. Es ist ja auch einfacher, den Mangel dann der einzelnen Person zuzuschreiben und nicht der Situation und natürlich noch viel weniger der Lehrperson. «Sei doch etwas motivierter.» «Du musst schon neugierig sein.» Ich möchte daher, inspiriert durch Rogers und Drucker, und entgegen dem allgemeinen Attributionsfehler, mal den Kontext und die Lehrperson ins Zentrum der Betrachtung rücken.
Carl R. Rogers geht davon aus, dass die oder der Lernende die Macht über den Lernprozess hat (haben sollte) und dass die Lehrperson höchstens ein Moderator*in dieses Verhältnisses ist. Es geht in diesem Sinne nicht darum etwas weiterzugeben, sondern Rahmenbedingungen zu schaffen, die derart ausgestaltet sind, dass lernen überhaupt stattfinden kann. Das Weitergeben eigenen Wissens oder Fähigkeiten mit dem Ziel, dass Menschen dies dann genau so tun oder wiedergeben wie vorgemacht, ist grundsätzlich falsch. Ziel muss sein, sie in einen Zustand zu versetzen, dass sie dies selbst lernen (wollen) und selbstgesteuert, nach ihren eigenen Wertvorstellungen, auch ausführen können.
Die Aufgabe der Lehre im Sinne von Drucker, wäre nur dann statthaft, wenn es sich um die Entwicklung von (Lern-)Kompetenz handelt. Nur Wissen zu vermitteln «ist anmassend und betrügerisch», da es doch nur um die Zurschaustellung des Wissens der lehrenden Person geht. Eigentlich lernt nur sie in dieser Situation. Die Lernumgebung ist damit ein Ort, der ein positives Umfeld schafft, welches Lerngelegenheiten und Begleitung, Moderation der Lernanstrengungen, bietet. Und ist nicht, wie es heute noch voll zu oft gang und gäbe ist, ein Zimmer, in welchem man Anweisungen erhält, was, wie, wo und in welcher Zeit zu tun ist. Mit oder ohne Motivation oder Neugierde.
Verantwortung fürs Lernen übernehmen.
Die Übergabe der Verantwortung des Lernprozesses an jeden Einzelnen weckt zunächst Misstrauen und Angst, kann zu gehässigen Reaktionen führen, da die Menschen nie gelernt haben, selbst Verantwortung zu tragen. Sie müssen mit dieser Bürde umzugehen lernen, aber auch erkennen, dass das Umfeld nicht gegen sie ist, sondern ihnen dabei hilft. Die aversive Reaktion auf Freiheit speist sich im Rahmen von Schule meist aus dem Umstand, dass Schüler*innen Angst haben den Kurs nicht zu bestehen, wenn ihnen niemand sagt, was genau zu lernen sei. Die Macht der Lehrperson über das Lernen, den Weg und das Ergebnis davon muss in diesem Rahmen ebenfalls neu verteilt und ausgehandelt werden. Nur wenn sich alle Personen auf Augenhöhe begegnen kann dieser Wandel geschehen. Die Lehrperson ist in diesem Kontext Garant*in für das Umfeld, die Rahmenbedingungen, damit Lernen geschehen kann, aber eben nicht für das Lernen an und für sich. Dies kann nur jeder Mensch für sich tun.
Und in diesem Sinne kann auch Neugierde und Motivation, welche in meinem Verständnis sowohl Antrieb, als auch Ergebnis von Lernen sind, nur dort entstehen, wo ein positives Umfeld dieses Verhalten begünstigt. Charaktereigenschaften im Sinne von internalen Dispositionen erklären dann nur die Varianz im Verhalten zwischen den Menschen und sind nicht deren Bedingung. Dass meint wohl auch das Konzept der Entwicklungsorientierung.
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