Tim Kantereit hatte in die Referendariats-Ausbildung eingeladen und es waren die Studierenden in Leverkusen, die diesen Gegensatz auf den Punkt brachten: Lernendenorientierung oder Standardorientierung. Wir diskutierten auf Twitter weiter – und Jean-Paul Munsch mit mir. Er meinte, man könnte wohl die gesamte Pädagogikgeschichte und auch die wesentlichen aktuellen Diskussionen am Verhältnis unter diesen beiden verdeutlichen.

Mehr vom einen ist nicht weniger vom anderen

Wenn eine Lehrperson sich weniger für die Menschen interessiert, tut sie nicht unbedingt mehr für die Erreichung von Kompetenzzielen. Denn bloss weil man nicht auf die Lernenden eingeht, erreicht man noch keine Standards! Und ebenso umgekehrt: Wer sich nicht für standardisierte Ziele engagiert, stellt allein deswegen nicht automatisch die Lernenden ins Zentrum.

Wenn «Standardorientierung» und «Lernendenorientierung» also keine Gegensätze, keine Komplementaritäten sind, dann sind es zwei prinzipiell voneinander unabhängige «Stellschrauben», so dass sich vier Möglichkeiten ergeben:

Entwicklungsorientierte Bildung und agil-adaptive Didaktik …

… sind im Kern mehr personorientiert als standardorientiert, aber durchaus auch standardorientiert. Ein Beispiel: Entwicklungsorientierte Bildung im Fach »Gestalten« lebt davon, dass Lehrende tief überzeugt sind davon, wie wichtig es ist, dass Kinder a) eigene gestalterische Prozesse durchlaufen, die b) suchende Phasen und c) kreative Freiräume enthalten und so d) zu eigenen Ergebnissen kommen. Das sind Standards. Keine simplen, sondern gute.

Dennoch: Wenn es hart auf hart ginge, würde der Lernendenorientierung der Vortritt gewährt. Die Frage ist immer: Wie können wir so mit den Standards umgehen, dass das für die Entwicklung dieser Menschen Sinn macht. Nie umgekehrt.

Lösung

Ja, es geht um ein Sowohl-als-auch. Nein, es geht nicht um ein Gleichgewicht:

Genau gesehen geht es um Standardorientierung und Lernendenzentrierung. Mit Personzentrierung sind wir endlich ganz bei Carl Rogers angekommen. Und mit der dezidierten Bezeichnung der »Standardorientierung« bei dem, was gute Standards im Bildungssystem leisten können: nicht als Hürde im Weg stehen, sondern gute, wohlüberlegte Richtung angeben.

Das ist genau beschrieben damit: Das neue Paradigma der Entwicklung der Person nimmt das Paradigma der Kompetenz als Standard in sich auf, und wird damit selbst zum neuen »grossen Ganzen«.